ichtung und Wahrheit - die Entzauberung der Merseburger Zaubersprüche ...
... oder der gelungene Versuch, den Begriff "Miniatur" neu zu definieren.



Der Inhalt
Merseburger Zaubersprüche

Viele Legenden ranken sich seit langer Zeit um die
Merseburger Zaubersprüche.

So wird gesagt, es handle sich um heidnische Sprüche,
die auf den Deckel eines Evangeliars geschrieben wurden
und damit die früheste Verbindung des heidnischen
mit dem christlichen Glauben darstellen.

Andere wissen davon zu berichten, dass es sich
um Lieder handelt. Vertonungen sind in vielfältiger Art und Weise zu finden, mit Blockflöten,
mit Dudelsäcken, mit Harfen, und eine Vertonung ist schöner als die andere und jede geht angeblich
auf "alte Noten" zurück.

Doch was ist richtig an diesen Aussagen?


Merseburger Zaubersprüche



Bei meinen Recherchen habe ich folgendes herausgefunden:

Bei den "Merseburger Zaubersprüchen" handelt es sich wohl ohne Zweifel um eine germanische Dichtung aus einer Zeit, als die Sprüche, Heldenlieder und Geschichten noch mündlich überliefert wurden, vermutlich weit vor 750 n.Chr. Sie blieben erhalten, weil sie - ähnlich wie das Hildebrandtslied - im 10. Jahrhundert in karolingischer Minuskel auf
das Vorsatzblatt eines Missales geschrieben wurden. Jedoch kann man hieraus nicht schließen, das es sich deswegen um eine Verbindung zwischen heidnischer und christlicher Glaubenslehre handelt.

Wie wir wissen, hat Karl der Grosse angeordnet, die alten Schriften und das alte Wissen zu dokumentieren, um es für die Nachwelt aufzubewahren. Ergo schrieben die Schreiber unter Karl d.G. alles was sie fanden, auf. Und wenn gerade kein Pergament mehr zur Verfügung stand, dann eben erst mal als Notiz auf ein Vorsatzblatt.

Diese praktische Vorgehensweise lässt leider von dem Mythos, der sich um die Sprüche rankt, nicht mehr viel übrig. Tröstlich ist jedoch, dass nur durch diese Vorgehensweise diese Sprüche überhaupt gerettet wurden, während vieles andere der altgermanischen Dichtung im Dunkel der Zeit verschwand.

Zu Ihrem Namen kamen die Sprüche dann aber erst im Jahre 1842, denn erst 1841 wurden sie von Georg Waitz im Domkapitel zu Merseburg wiedergefunden. Jakob Grimm hat die Sprüche dann 1842 zusammen mit dem Hildebrandslied unter dem Titel veröffentlicht: "Über zwei entdeckte Gedichte als der Zeit des deutschen Heldenthums". Die Sprüche sind jetzt in der Merseburger Domstiftsbibliothek aufbewahrt.

Da sich im Originaltext jedoch nachweislich keinerlei Hinweise auf eine Vertonung finden, gehe ich davon aus, dass eine musikalische Interpretation meiner Ansicht nach keinesfalls vor dem 19. Jahrhundert hat stattfinden können, und damit findet leider auch der Mythos, dass es sich um ein Musikstück aus der vorchristlichen Zeit handeln würde, sein Ende.

Doch sollten wir uns jetzt nicht enttäuscht von dieser wundervollen Dichtung abwenden. Freuen wir uns lieber darüber, dass sie erhalten geblieben sind - durch die Entscheidungen Karls des Großen und der Gebrüder Grimm - und dass wir uns an den Vertonungen eines der wenigen erhaltenen germanischen Dichtungsfragmente erfreuen können, die in vielfältiger Form auch heute immer noch zu hören sind.




Wie schon erwähnt, gibt es bereits zahlreiche Abschriften und Publikationen zum Thema, so dass ich bewusst darauf verzichtet habe, die Sprüche nochmals komplett abzuschreiben und mit Übersetzung hier einzustellen. Der interessierte Leser kann sicher an anderer Stelle diese Informationen finden. Ich habe daher im vorliegenden Projekt nur den ersten der zwei Zaubersprüche ausgewählt und mit roter Tinte auf Pergament geschrieben. Das Besondere an dieser Arbeit ist, dass ich herausbekommen wollte, wie klein ich schreiben kann. Nach vielen Versuchen, die in immer kleinere Sphären vordrangen, musste ich mich mit dem vorliegenden Ergebnis, das auf dem Foto zu sehen ist, zufrieden geben, denn eine schmalere Feder habe ich leider nirgendwo mehr gefunden.
Somit hat das als Maßstab beigelegte Zahlungsmittel durchaus seine Berechtigung in dieser Schrift.





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